Epilog

Gutshäuser Geschichten - Epilog

Annika Kiehn, September 2022

Eine Liebe, die niemals vergehen wird.

Ich sitze am Flughafen von Vilnius im schönen Litauen und habe noch ein paar Stunden vor mir, bis mein Flieger zurück nach Berlin geht. Genug Zeit, um Revue passieren zu lassen. Regenwasser gleitet die großen Fensterscheiben hinunter, das Wetter passt zu meiner Stimmung, Wenn ich an die vergangenen vier Jahre denke, bin ich selig und traurig gleichermaßen. Vier Jahre lang durfte ich quer durchs europäische Hinterland reisen und Gutshaus-Geschichten einsammeln.

Ich denke an die vielen Menschen und Orte, zu denen es mich geführt hat, die vielen Aha-Momente, die mein gedankliches Mosaik zusammengefügt haben mit jedem einzelnen Interview. Ich sprach mit einem Kirschweinproduzenten in Süddänemark, mit einem schwedischen Journalisten über die Fluchtgeschichte seiner deutschen Mutter, mit einer polnischen Schlossdirektorin über ihre deutschen Wurzeln. Rückblickend kann ich nur sagen: Wahnsinn, wohin das Thema Gutshaus mich hingeführt hat!

Von Menschen, die alten Gemäuern neues Leben einhauchen

So auch nach Vilnius, wo ich für einen Vortrag zur Manor Summer School eingeladen war – quasi als krönender Abschluss dieser langen Reise entlang der Ostsee. Ich, als Expertin für Gutshäuser, durfte einem interessiert lauschendem Publikum von meinen Begegnungen erzählen. Ich sah die Begeisterung in ihren Augen, während die Worte nur so aus mir heraussprudelten. Dass ich einen Vortrag für eine litauische Exkursionsgruppe halten durfte, fühlt sich noch immer an wie ein Ritterschlag.

In den vornehmen Atmosphäre des Vilnius Klubs, einer privaten Gemeinschaft, die sich um das historischen Stadthaus kümmert, lauschten rund 25 Menschen meinen Erfahrungen aus der verrückten Gutshauswelt. Hohe Kachelöfen zieren die hohen Räume, deren Wände dunkelrot gestrichen sind. Kaum beginne ich meinen Vortrag, gibt es kein Halten mehr. Wenn es um Gutshäuser geht, brauche ich keine vorgegebene Struktur, routiniert schwenke ich zwischen Anekdoten zu historischem Wissen und zurück. Erzähle ihnen von all den inspirierenden Menschen, die sich der Ausgabe verschrieben haben, alten Gemäuern neues Leben einzuhauchen. „Was für ein Traumjob!“, wirft jemand ein. Die Gruppe nickt zustimmend. Recht haben sie.

Wer sich auf alte Häuser einlässt, ist bereit, seine Komfortzone zu verlassen und sich dem Zauber, aber auch den Absurditäten der Historie zu stellen

Wie hätte ich ahnen können, dass sich aus einem schicksalhaften Besuch in einem Gutshaus 2014 so eine persönliche Wendung für mich ergeben würde. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich in diesem Flur stand, mich umsah und plötzlich durchfuhr es mich wie ein Blitz. Such Dir Deine Nische, haben Sie uns immer eingebläut an der Reportageschule. Warum also nicht das zu meinem Thema machen, was mich schon immer interessiert hat? Es folgten etliche Besuche bei Seminaren der AG Gutsanlagen, persönliche Besuche bei Gutshausbesitzern, die mir geduldig bei Kaffee und Kuchen von ihrer Leidenschaft erzählten und mich damit unweigerlich immer wieder aufs Neue infizierten. Denn das ist es, was mich an dem Thema am meisten reizt: Die Lust am Leiden, um ein Stück Geschichte zu erhalten.

Wer sich auf alte Häuser einlässt, ist bereit, seine Komfortzone zu verlassen und sich dem Zauber, aber auch den Absurditäten der Historie zu stellen – rigorose Denkmalschutzverordnungen oder kostenintensive Entdeckungen wie marode Balken oder ein üppiges Fledermausquartier im Keller. Doch über allem wiegen die kleinen Erfolge: Etwa, wenn freigelegte Deckenbalken sich als gut erhalten herausstellen, wenn im Garten plötzlich außergewöhnliche Fliesen ausgebuddelt werden, wenn Zeitzeugen einem Anekdoten von früher mitbringen, die das Herz wärmen und den ganzen Aufwand wettmachen.

Ich habe die wunderbarsten Menschen kennen gelernt, die alle ehrgeizig, freundlich und bescheiden waren.

Das Thema Gutshaus umfasst so viel mehr als reine alte Gemäuer-Geschichten. Es sind Geschichten von Hoffnung, von Wagemut, von Abenteuergeist, vom Willen, sich den Hintern aufzureißen, wenn man doch genauso gut auf der Couch liegen könnte. Denn dafür lassen alte Häuser einem selten Zeit. Es gibt immer etwas zu tun und genau darin liegt er Reiz der Sache: es ist dieser Dominoeffekt aus Erfindungsreichtum, der sich einstellt, um diese Häuser mit Leben zu füllen und es ist immer wieder faszinierend zu erleben, was dabei herauskommt.

Wird das nicht irgendwann trotzdem langweilig, mag sich mancher fragen? Nein. Jede Geschichte ist die eines kleinen Wunders. Jede hat dabei ihre ganz eigenen Hauptdarsteller, die einen ganz eigenen Charakter mitbringen und individuelle Vorstellungen, was dort passieren soll. Und genau das reizt mich so an der Sache: Wie agieren Haus und Besitzer zusammen? Jedes Haus ist ein Maßanzug, keines gleicht einem anderen. Und auch der Mensch kommt mit einem ganz eigenen Wesen dazu. Wenn diese Komponenten aufeinandertreffen, wird’s spannend: Was soll geschehen und wie lassen sich diesen Vorstellungen verwirklichen? Ich habe Menschen getroffen, die an dem Traum Gutshaus gescheitert sind. Die, mürbe geworden, das Feld geräumt haben, weil ihnen das Geld ausging, die Partnerschaft beendet wurde oder ihnen irgendwann schlicht die Puste ausging. Denn dieser Traum verlangt unglaublich viel Eigenmotivation, Durchhaltevermögen und unermüdliche Zuversicht, damals wie heute. Alte Häuser sind Diven, die einen immer wieder in die Knie zwingen. Wer da trotzdem noch ruhig schlafen und lächeln kann, hat an innerer Größe gewonnen, die kaum noch zu überbieten ist.

Im Zuge des South Baltic Manor Projekts habe ich etliche Menschen kennengelernt, die mit unerschütterlichem Eifer Kulturerbe retten und als Destination für Besucher verwandeln. Ihre Geschichten sind hier auf diesem Blog noch lange nachzulesen, doch am besten, Sie besuchen sie und überzeugen sich selbst vor Ort.

Und ich hoffe, dass es mir ein wenig gelungen ist, ihre Leidenschaft zu verdeutlichen und auch die Vielseitigkeit, die das Thema in sich birgt. Ich habe noch viel mehr in meinem Notizheft zu stehen, als ich hier wiedergeben kann. Und ich kann es nicht erwarten, weiterzumachen. Denn das lehrt uns das Thema Kulturerbe: das es sich lohnt, dranzubleiben und nicht müde zu werden, die Schönheit der vergangenen Zeit zu bewahren und an die Menschen heranzutragen.

etliche Menschen kennengelernt, die mit unerschütterlichem Eifer Kulturerbe retten

Ich bin dankbar für die Chance, all diese Gutshaus-Enthusiasten kennenzulernen und mich von ihrer Energie anstecken zu lassen. Und nach einigen Corona-bedingten Pausen kommen auch endlich wieder einige Seminare zustande, in denen ich mich mit Gleichgesinnten austauschen kann. Wie sagte ein Kollege einmal zu mir: "Ein wirklich schönes Thema hast Du Dir da ausgesucht, um Expertin zu werden." Was soll ich sagen: Er hatte recht. Sich mit diesem Thema zu beschäftigen, gleicht einem Gutshausabenteuer an sich und das ist das Schöne daran: man wird nie fertig.

Herzliche Grüße, Annika

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