Ärmel hoch krempeln und los geht’s.

Gedanken zur Landwirtschaft auf Gut Kærstrup

Gespräch mit Marie-Pierre Boel Andresen

Aufgeschrieben von Annika Kiehn, April 2020

Als Kunsthistorikerin ist Marie-Pierre Boel Andresen mit der Dynamik dieser exzentrischen Welt bestens vertraut, weiß um die alten Meister. Als sie 2001 das Anwesen Kærstrup ihrer Großeltern auf der dänischen Südinsel Lolland erbte und den Landwirtschaftsbetrieb übernahm, stelle sie bereits nach kurzer Zeit fest: Getreide anbauen ist eine Kunst für sich.

Sie erfordert eine nahezu religiöse Zuversicht in den sich ewig wiederholenden Kreislauf der menschlichen Unterlegenheit gegenüber Mutter Natur. Mit Beginn jeder neuen Saison keimt auch die Hoffnung auf eine ertragreiche Ernte. Als Quereinsteigern in der Landwirtschaft hat Marie-Pierre Boel Andresen schnell gelernt, dass sie weit aushalten muss, als die Kapriolen der Jahreszeiten: Knallharte staatliche Reglementierungen, zum Beispiel. Nicht zuletzt agiert sie in einer Männerdomäne.

Seit Marie-Pierre Boel Andresen die Kunstszene für die Landwirtschaft eingetauscht hat, hat sie sich neben dem Wissen um Schädlinge und fruchtbare Erde eine neue innere Einstellung angeeignet, die sie in ihrem zweiten Leben als Landwirtin beherzigt – nämlich die, dass es nie zu spät ist, neu anzufangen und gut darin zu werden. Nicht zuletzt weiß sie mit ihrem Frauennetzwerk zahlreiche Unterstützerinnen hinter sich.

 

Marie-Pierre Boel Andresen

Als ich Marie-Pierre an einem grauen, aber milden Dezembertag 2019 besuche, schickt sie einen freundlichen Boten voraus: ein Cognac-brauner Hund, der mir schwanzwedelnd entgegenkommt, während ich die kleine Brücke zum Gutshaus über den Wassergraben überquere. Hunde sind ein gutes Indiz für ihre Besitzer – je entspannter das Tier, desto entspannter der Mensch. Und auch dieses Mal sollte sich das bewahrheiten.

Wie ich sogleich zu Beginn unseres Treffens im Salon erfahre, erlangte die Landwirtschaft von Kærstrup bereits im 19. Jahrhundert als Modellbetrieb weitreichenden Ruhm, dank seines damaligen Besitzers David Peter Fridrichsen. Mit ebensolcher Zielstrebigkeit führt Marie-Pierre Boel Andresen in diesen Tagen das Erbe fort. Ich erwische sie in einem günstigen Moment: Gerade erst ist die finale Jahresernte eingefahren worden, sodass sie Zeit und Muße hat, um mir davon zu erzählen, wie sie sich ihre neue Rolle auf dem Land einverleibt hat.
„You can maintain a gallery and close it once you have enough. But you cannot just shut down a manor. The place grows on you, you became a part of it.“

Ohne den Ertrag aus der Landwirtschaft ist es heutzutage schwierig geworden, ein Gutshaus zu unterhalten.

Landwirtschaft ist traditionell betrachtet die Haupt-Einkommensquelle eines ländlichen Anwesens. Zu Deutsch heißt es Gut von Gütern – der Begriff Gutshaus leitet sich also von seiner Funktion als Mittelpunkt des Gutes ab. Es gibt Stimmen von Historikern, die besagen, dass die heutigen Gutshäuser streng genommen keine mehr sind, seit den meisten von ihnen das Land, also das Gut, genommen wurde. Ohne den Ertrag aus der Landwirtschaft ist es heutzutage schwierig geworden, ein Gutshaus zu unterhalten. Während des Kalten Krieges kam es in den östlichen Ländern Europas, wie Polen und Litauen, oder Ostdeutschland, speziell Mecklenburg-Vorpommern, häufig vor, dass mit der Wende die Ländereien von den Häusern getrennt wurden und an Großbauern oder an Investoren vergeben wurden. Die bis dahin oft staatlich unterhaltenen Gutshäuser wurden für die Gemeinden nun zum finanziellen Ballast und zum Verkauf an Privatpersonen veräußert. Nicht alle neuen Besitzern ist es gelungen, die Zukunft dieser Häuser zu sicher, was nach sich zog, dass aus vielen Ruinen wurden.

Doch selbst ein funktionierender Landwirtschaftsbetrieb wie der von Marie-Pierre Boel Andresen ist kein Selbstläufer. Als sie das Gutshaus ihrer Großeltern 2001 übernahm, änderte sich ihr Leben schlagartig: eben noch auf einer Vernissage, plötzlich in Gummistiefeln auf dem Feld. Und während sie zufrieden Jahr für Jahr ihr Getreide heranwachsen sieht, hat sie dabei festgestellt, dass sie selbst eine ganz neue Zufriedenheit ereilt hat, wie Sie mir im Laufe des Gesprächs erzählt.

Ich stelle gern unkonventionelle Fragen

Status Quo
„Wir bauen auf 700 Hektar Land Weizen, Gerste und Zuckerrübe an. Außerdem produzieren wir Gras-, Spinat-, und Rapssamen. Einhundert Hektar Wald gehören ebenfalls zum Anwesen, auf dem wir Forstwirtschaft betreiben. Kürzlich haben wir sechs Hektar roden müssen, weil ein Käfer den Bäumen arg zugesetzt hatte. Ich habe gehört, dass es in Deutschland ähnliche Fälle gegeben haben soll. Vermutlich liegt das am Klimawandel, die Winter sind einfach zu mild geworden.“

DER ANFANG
Ich wünschte, ich hätte früher mit der Landwirtschaft angefangen, gleich damals, mit Ende zwanzig, als ich das Anwesen geerbt hatte. Vermutlich wäre ich damals zu jung gewesen. Mit Mitte vierzig entschloss ich mich, die Sache anzugehen. In meinem Umfeld beginnen die ersten Familien damit, ihre Betriebe an ihre Kinder weiterzugeben. In dieser Position bin ich nicht. Ich hänge sozusagen ein bisschen hinterher.

Als ich 2007 angefangen habe, habe ich einen Wirtschaftskurs belegt und eine Landwirtschaftsschule besucht. Das war eine anstrengende Zeit, meine Kinder waren noch sehr jung und mein Ehemann musste beruflich viel reisen. Wir haben damals noch in Kopenhagen gelebt. Ich habe viele vermeintlich dumme Fragen gestellt, und was soll ich sagen, die Leute haben natürlich unterschiedliche Auffassungen zu dem Thema (lacht). Ich stelle gern unkonventionelle Fragen und erwarte dann alternative Antworten. Man kann immer lernen, man muss nur mit sich selbst geduldig bleiben. Dank meines Masters in Kunstgeschichte kann ich die Methoden, die dort angewendet werden, auf meine jetzige Tätigkeit übertragen: Fragen zu stellen, hilft mir dabei sehr.

Ich weiß immer noch nicht mit einhundert prozentiger Gewissheit, was man wann in die Erde bringt. Wenn ich auf dem Feld stehe, macht es nicht einfach: Klick! Wie gern wäre ich in der Lage zu sagen: „Diese Pflanze hat gelbe Flecken wegen diesem oder jenem Insekt!“, aber soweit reicht meine Erfahrung nicht. Ich bespreche mich dann mit meinem Vorarbeiter und wir beraten uns permanent, wie wir weitermachen. Darüber hinaus musste ich erlernen, was es heißt, einen Betrieb zu führen. An oberster Front zu agieren, macht Spaß. Diese Art von Besitz anzunehmen und darauf stolz zu sein, dauert, aber ich fühle, dass ich auf einem guten Weg dahin bin.“

Landwirtschaftliche Frauengruppe
“Als Frau in der Landwirtschaft kannst Du nicht „nur“ mit 95 Prozent Wissen daherkommen, Du musst 120-prozentig auf Zack sein. Zum Glück bin ich in einer Frauengruppe gut aufgehoben, in der alle, wie ich, einen Landwirtschaftsbetrieb führen. Wir sind eine private Initiative. Einige von Ihnen kannten mich über gemeinsame Freunde und als sie fragten, ob ich dabei sein möchte, sagte ich: ‚Ja bitte!‘ Beim ersten Treffen war ich etwas aufgeregt. Aber sie haben mich sehr willkommen geheißen und waren sehr interessiert daran, dass ich meine Erfahrungen mit ihnen teile. Mit solch einem Rückhalt hatte ich nicht gerechnet, ich bin sehr dankbar dafür, so wie ich es bin, dass ich Kærstrup managen darf.“

Als Frau in der Landwirtschaft kannst Du nicht „nur“ mit 95 Prozent Wissen daherkommen, Du musst 120-prozentig auf Zack sein.

Ich kann mir nicht erklären, warum sich Männer damit schwertun, wenn Frauen selbstbestimmt auftreten.

OLGA
„Mein Großvater Esper Boel kaufte das Anwesen von Kærstrup 1972 –hier führte er das Unternehmen meines Urgroßvaters fort, Marius Boel, der Anfang des 20. Jahrhunderts den dänischen Schimmelkäse erfunden hat.
Als sich die EU formierte, verkaufte mein Großvater die Firma und wurde Landwirt. Seine Frau Olga, meine Großmutter, von der ich das Gutshaus Kærstrup geerbt habe, war 74 Jahre alt, als mein Großvater plötzlich verstarb und sie kurzerhand die Landwirtschaft übernehmen musste. Sie hat diesen wunderschönen japanischen Garten erschaffen, gegenüber vom Haus und lebte hier bis zu ihrem Tod mit 98 Jahren. Olga gehörte nicht zu der Sorte Mensch, die viel gucken von sich lassen, aber ich nehme an, dass es echt schwer für sie war ohne ihren Mann. Sie war eine temperamentvolle Frau, stolz, aber eben doch oft am Hadern. Niemand sollte ihre Unsicherheit bemerken. Ich habe das Gefühl, dass, je älter ich werde, desto mehr werde ich wie sie. Zumindest behauptet meine Schwester das.“

SELBSTBEWUSSTSEIN
„Einmal, bei einer Konferenz standen Männer beisammen und einer von ihnen erzählte, dass er seinen Betrieb an seinen Sohn weitergegeben hat. Plötzlich blickte er mich an und sagte: ‚Sie haben doch sicher Ihren Mann, der Ihnen hilft!‘ Da erwiderte ich: ‚Ich komme ganz gut klar, ich bin nicht blöd.‘ Mein Mann ist Ökonom und Ingenieur, und genauso wie ich, musste auch er sich das Thema Landwirtschaft von Grund auf erschließen. Er und ich sind ein gutes Team wenn es darum geht, gemeinsam Entscheidungen für das Anwesen zu treffen. Wir diskutieren viel. Für uns hat es eine große Rolle gespielt, dass keiner von uns Ahnung von der Materie hatte. Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, wenden sich die Menschen immer zuerst an ihn und fragen: ‚Und, wie läuft die Farm?‘ Mein Mann, der meinen Frust verstanden hat, hat sich angewöhnt, sie an direkt mich zu verweisen. Es gibt immer noch dieses Klischee, dass Perlenohrringe und Make-up sich nicht mit Führung eines so bedeutsamen Unternehmens verträgt. Aber ich trage nun mal Perlenohrringe und Make-up – und ich habe Grips. Auf eine merkwürdige Art und Weise fasziniert es mich mitzuerleben, dass es im 21. Jahrhundert immer noch diese antiquierte Sichtweise auf Frauen gibt. Ich kann mir nicht erklären, warum sich Männer damit schwertun, wenn Frauen selbstbestimmt auftreten. Sobald eine sagt, was sie will, heißt es: Die ist eine Zicke! Ich übe mich schon eine ganze Weile darin, freundlich, aber bestimmt zu sagen, was ich möchte, ohne, dass ich gleich diesen Stempel verpasst bekomme. Inzwischen vertraue ich mehr auf meinen Instinkt. Ich fühle mich selbstsicherer, als ich es noch vor vielen Jahren war. Der Schlüssel ist, konstant zu lernen und gleichzeitig Selbstvertrauen zu haben.

Mein Leben mit den Jahreszeiten und der Erde hat mir eine andere Sichtweise auf mein Schaffen gegeben

DIE ZUKUNFT DES GUTSHAUSES
Kærstrup wird es immer geben. Das Gutshaus existiert seit dem 14. Jahrhundert. Es wurde mir übergeben, um ein paar Jahre darauf aufzupassen und dann werde ich es an die nächste Generation übergeben. Sein Schicksal unterlag bereits 39 Besitzern und nun liegt seine Zukunft in meinen Händen. Ich bin jetzt Teil seiner Geschichte geworden, und dieser Gedanke berührt mich sehr. Ich werde dieses Anwesen nach bestem Gewissen weiterentwickeln, damit es Bestand hat. Dieses Gefühl wird Dir eine Kunstgalerie nie in einem solchen Ausmaß geben können. Wenn Du keine Lust mehr hast, schließt Du einfach ab und das war’s. Ein Gutshaus und die dazugehörige Anlage hingegen kann man nicht einfach so abschließen. Dieser Ort verschmilzt mit einem, man wird Teil des Ganzen.”

ART
“Ich vermisse die Kunst. Als ich 2001 hier anfing, mich in den Betrieb einzuarbeiten, habe ich nebenher noch in der Galerie gearbeitet und in Auktionshäusern. 2007 bin ich quasi ausgestiegen aus der Kunstszene. Freunde von mir halten mich auf dem Laufenden, es tut gut, wenn ich mich ab und an mit ihnen austausche. Ich kompensiere meine Sehnsucht mit meinem Engagement im Komitee des Kulturverbands Lys over Lolland, der jedes Jahr ein Kunstfestival organisiert.“

Lebensweisheit
„Mein Leben mit den Jahreszeiten und der Erde hat mir eine andere Sichtweise auf mein Schaffen gegeben – das hier ist völlig anders als in einer Galerie, versteht sich. Ich fühle die Gegenwart jener, die vor mir an diesem Ort gewirkt haben. Sie führt mir vor Augen, dass dies ein fortwährender Prozess ist, in dem ich mich befinde. Ich fühle mich geerdet, die Geschichte umgibt mich Tag für Tag. Ich fühle die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft gleichermaßen. Mit dem, was ich hier mache, trage ich dazu bei, Menschen mit Nahrung zu versorgen und den Kreislauf des Lebens zu erhalten. Es mag seltsam klingen, aber eine solche Intensität meines Daseins habe ich als Kunsthistorikerin nicht empfunden.“

Fotos: Annika Kiehn

Besuchen Sie die Region zum Lys over Lolland Kunstfestival
Licht über Lolland ist ein professionelles Kunst- und Kulturfestival mit dem Ziel, dänische und internationale Kunst auf hohem Niveau zu zeigen. Darüber hinaus ist es sehr experimentell und gleichzeitig von großer Anziehungskraft mit einem vollen Programm an Ausstellungen, Konzerten, Filmpreisen und Veranstaltungen.

 

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