Arbeitsurlaub auf dem Rittergut Damerow

Ein Co-Working-Space auf dem Lande

Mehr Abwechslung im Home-Office

Im Sommer 2019 eröffnete Felicitas Gobbers den ersten Co-Working-Space im ländlichen Raum Mecklenburg-Vorpommerns. Als Pionierin auf diesem Gebiet hat sie damit den Startschuss für ein völlig neues Erlebnisgefühl für diese Region erschlossen. Im Interview erzählt die vergnügte Rheinländerin, wie sie sich ihre ursprüngliche Vorstellung von Landleben in ein endloses Abenteuer entwickelt hat – und warum sie davon überzeugt ist, dass Workaction (work+vaccation), also Arbeitsurlaub, das neue Lebensgefühl werden wird.

Von Annika Kiehn, Fotos Lars Schönherr

Und plötzlich fand ich mich auf einem verlassenen Gutshof wieder

Als Felicitas Gobbers im Frühjahr 2017 ins vorpommersche Dorf „Damerow“ kommt, um auf dem ehemaligen Rittergut ihrer Familie ein Sabbatical zu machen, hat sie gemischte Gefühle. „Bis dahin habe ich meine Zeit zwischen Stuttgart und Mallorca aufgeteilt. Ausgelaugt von ihrem stressigen Job als Eventmanagerin, dürstet es sie nach einer Auszeit und so beschließt, dass Damerow der richtige Ort dafür sein könnte. Beschaulich und geschichtsträchtig obendrein: Bis 1945 führten ihre Vorfahren, derer von Winterfeld, die Gutsanlage nahezu 400 Jahre am Stück, bis die Rote Armee sie zwang, zu fliehen. Erzählungen zufolge wurde das Gutshaus, welches 1838 im Stil der englischen Neo-Gotik umgebaut worden war, inmitten der Wirren des Kriegsendes niedergebrannt wurde.


Und plötzlich fand ich mich in einem sehr ländlichen Teil Deutschlands wieder, auf einem verlassenen Gutshof


Trotzdem verfügt die Gutsanlage Damerow bis heute über einen einzigartigen Flair, sei es aufgrund der Brennerei-Ruine, des imposanten Stalls oder der Kirchenruine aus dem 14. Jahrhundert, erbaut aus Feldsteinen. 2006 gelang es Felicitas Eltern, die Gutsanlage zurückzuerwerben, mit samt altem Schulgebäude. Dass das Gutshaus als solches nicht mehr existiert, findet Feli, wie sie sich gern nennen lässt, einerseits schade, anderseits auch okay. „Ich mit dem Rest der Anlage auch gut ausgelastet.“ Der moderne Glasanbau am Schulhaus dient nun als Café am Wochenende oder als kreativer Arbeitsort für Gruppen im Co-Working-Space. Denn Damerow verfügt über einen Schatz, von dem so manches Dorf noch träumt: Eine richtig schnelle Internetleitung.

Felicitas, wie hast Du den Wechsel von der Stadt zum Land gemeistert?

Als meine Eltern die Gutsanlage damals kauften, dachte ich nur: Warum nicht lieber eine Finca auf Malle? Die könnte ich wunderbar vermarkten. Damals erschien mir Damerow ziemlich unattraktiv: Das Verwalterhaus als einziges funktionierendes Wohnhaus war zugewachsen und voll mit Müll, es war das Zuhause streunender Hunde. Ich hatte nie einen Bezug zu diesem Ort. Meine Großeltern, die mir noch etwas über die Anlage hätten erzählen können, sind gestorben, bevor es dazu kam, Erinnerungen auszutauschen.

Ich weiß noch genau, wie es war, als ich das erste Mal dort ankam – es war so ungewohnt dunkel und in so einem großen Haus kann man sich auch schnell sehr allein fühlen.

2017 befand ich mich in einer Phase des Umbruchs. Ich merkte, dass ich eine Pause brauchte von meinem stressigen Job als Eventmanagerin. Wohin also? Da traf es sich gut, dass es zur selben Zeit erforderlich wurde, dass sich jemand aus der Familie um Anlage in Damerow kümmert. Da meine Schwestern jeweils mit ihren Familien in Krefeld beziehungsweise London lebten, und ich Single war, kam die Aufgabe wie gerufen. Ich weiß noch genau, wie es war, als ich das erste Mal dort ankam – es war so ungewohnt dunkel und in so einem großen Haus kann man sich auch schnell sehr allein fühlen. Zum Glück lebte damals noch ein Ehepaar zur Untermiete im Obergeschoss. So nach und nach habe ich mich dann akklimatisiert, es ging sogar schneller als gedacht.
Wie sah Dein Alltag in dieser Zeit aus?

Ich hatte mir damals für die vier Monate vorgenommen, in denen ich das kleine Hexenhaus, wie ich es nenne, als Ferienhaus ausbauen wollte. Ich stellte das Haus bei Airbnb online und zwei Tage später kam die erste Buchungsanfrage – das gab mir die Hoffnung, dass ich perspektivisch mit dieser Anlage arbeiten können würde.

Ich zog nach Damerow, mit der Absicht, etwas aus dem Erbe meiner Familie zu machen

Was hat Dich bewogen, zu bleiben?

Nach den vier Monaten bin ich zunächst zurück in meinen alten Job und habe ein halbes Jahr weitergearbeitet. Ich hatte eine Reinigungskraft vor Ort, so konnte ich das Hexenhaus weiter vermieten. Doch als sie aufhörte, wurde es schwierig, die Sache von Stuttgart aus zu managen. Zudem hatte ich in der Zwischenzeit meinen jetzigen Partner Lars gefunden, der damals noch in Leipzig wohnte – mein Leben rückte also unweigerlich immer mehr gen Norden. Also packte ich nach acht Jahren Süddeutschland endgültig meine Sachen und zog nach Damerow, mit der Absicht, etwas aus dem Erbe meiner Familie zu machen. Mittlerweile wohnt Lars auch dauerhaft bei hier und etabliert sich als freier Fotograf.

Wie läuft es seither?

Ganz gut. Ich bin kein Fan von Krediten, daher lautet meine Prämisse, dass ich erst einmal das nehme, was da ist und etwas daraus mache. Es ist nicht leicht, eine halb intakte Gutsanlage ohne Eigenkapital wirtschaftlich zum Laufen zu bringen. Ich habe, schweren Herzens und nach intensiven Absprachen mit meiner Familie, den alten Speicher und die ehemalige Brennerei verkauft. Der neue Besitzer kommt aus Berlin und ich hoffe, dass er mir bald die fehlenden Schlafplätze darin schafft. Ich brauche hier mehr Übernachtungsmöglichkeiten, vor allem, wenn Leute den Co-Working-Space nutzen wollen. Wir könnten hier so vieles machen, einiges ist mir ja auch schon geglückt.

Worauf bist Du stolz?

Ich habe das Gutscafé wiederbelebt. Anfangs habe ich einen Pächter oder eine Pächterin gesucht und nicht gefunden – was logisch ist, denn jeder weiß, wie schwer es ist, im Nirgendwo damit Geld zu verdienen. Daher stelle ich mich selbst hinter den Tresen und backe Kuchen, dabei bin ich gar kein Fan von Gastronomie. Ich habe vorher extra ein Praktikum im Restaurant meiner Tante absolviert, das hat mir sehr geholfen.
Ich habe gemerkt, dass es immer gut ist, wenn ich als Ansprechpartnerin da bin, weil wirklich immer jemand kommt und eine spannende Geschichte über die Gutsanlage mitbringt. Aber ich brauche auch mal eine Pause und vor allem Zeit, um den Rest hier voranzubringen. Vergangenes Jahr habe ich mehrere Pop-up Dinner veranstaltet. Ein Koch kommt zu mir und wir kredenzen den Gästen ein Drei-Gänge-Menü. Man muss sich gute Leute suchen, mit denen man etwas gemeinsam starten kann.

Du hast den ersten Co-Working-Space auf einer Gutsanlage eröffnet – wie gut funktioniert das in der ärmsten Region Deutschlands?

Ich genieße hier das Privileg einer 100.000er-Leitung und hatte diesen Raum übrig neben dem Café. Ich kannte das Konzept Co-Working aus Stuttgart und so dachte ich, okay, schauen mir mal, wie es läuft. Darin ist es wunderbar ruhig und wer möchte, kriegt in den Pausen einen Latte Macchiato von mir, gern auch mit Hafermilch, und kann sich an dem schönen Ausblick auf die Anlage erfreuen. Wer hier in der Nähe Urlaub macht und trotzdem mal einen Tag konzentriert arbeiten muss, findet bei uns das passende Umfeld. Wir bekommen immer mehr Anfragen von Unternehmen aus der Stadt, die ihre Teams zum kreativen Arbeiten aufs Land schicken wollen.

Wir bekommen immer mehr Anfragen von Unternehmen aus der Stadt, die ihre Teams zum kreativen Arbeiten aufs Land schicken wollen.

Meine Freunde nennen Damerow immer „the happy place“

Es gibt eine ziemlich agile Truppe aus allen Ecken Mecklenburg-Vorpommerns, die das Thema Coworking im ländlichen Raum etablieren wollen. Wir sind noch ganz am Anfang und wir müssen noch den Fokus ausrichten, aber die Manpower ist enorm. Es wird noch eine Weile dauern, bis die mentale Flexibilität hier auf dem Land angekommen ist und die Menschen das Modell Workation als eine weitere Möglichkeit wahrnehmen, in diesen Landstrich zu kommen.

Was gibt Dir die Zuversicht, dass Damerow sich als place-to-be entwickeln wird?

Anfangs dachte ich, ich komme hier mal für eine Weile her und dann hau` ich wieder ab in die Stadt. Ich bin kein Dorfkind, schon gar kein Gastrotyp. Inzwischen sind die kaputten Gebäude mehr für mich geworden, ich habe gemerkt: Das ist Heimat. Meine Freundinnen nennen Damerow immer den Happy Place, weil man hier so gut abschalten kann.

Mein Onkel, Hans Leopold von Winterfeld, wohnt in der Nachbarschaft, er ist der Einzige, der unseren Adelstitel aufrechterhält. Manchmal kommt er angeritten und erkundigt sich, wie es mir hier geht oder er nimmt er mich mit zu unserer Verwandtschaft fünften Grades. Nach und nach merke ich, dass sich hier viele spannende Menschen in der Gegend aufhalten. Der Chef eines Musikkonzerns etwa, in Richtung Straßburg wohnen zwei Tatort-Kommissare, eine tolle Frauentruppe, die ein Gutshaus führen. Ich bin also gar nicht so allein. Diese neuen Bekanntschaften sind super spannend und wer weiß, mit wem ich noch gemeinsam Projekte starten werde.

Der Trend geht immer mehr in Richtung Landleben, vor allem zu Corona-Zeiten ist dies deutlich geworden. Die Menschen sehen sich nach Natur, Ruhe, das berichten unsere Feriengäste immer wieder. Wenn endlich überall gutes Internet vorhanden ist, werden sicher einige der Stadt endgültig den Rücken kehren wollen. Natürlich müssen Konzerne und Firmen mitspielen, und vielleicht wird es irgendwann eine Co-Working- statt Pendlerpauschale geben. Das wird sich alles nochmal drehen, davon bin ich überzeugt.

Rittergut Damerow mit Co-Working-Café & Ferienwohnung

Rittergut Damerow bietet viele Möglichkeiten für eine kreative Auszeit.

Das Café ist samstags und sonntags von 14-17 Uhr geöffnet. Mieten Sie eine nette kleine Hütte und Ferienwohnung für 4 Personen: airbnb
Wenn Sie sich ehrenamtlich engagieren und Teil der 400-jährigen Geschichte des Ortes werden möchten, bitten wir Sie, uns eine E-Mail an folgende Adresse zu senden: deinestadtflucht@rittergut-damerow.de
Ein modernes Fotostudio vom Fotografen Lars Schönherr zur Miete, in dem Sie Ihre eigenen kreativen Projekte verwirklichen können

 

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