Literatur über Gutshäuser

Literatur für Gutshaus-Enthusiasten

Eine literarische Reise zu den Gütern der Ostseeküste!

Fotos and Text von Annika Kiehn, Juni 2021

Der Sommer ist da und endlich bleibt uns ein wenig mehr Zeit als sonst fürs Leben. Egal ob Städtetripp oder Urlaub am Strand, wer sich mit dem Thema etwas mehr befassen möchte, für den habe ich eine kleine feine Auswahl an Büchern zusammengetragen, einige meiner liebsten, die ich persönlich gefunden habe – und die glücklicherweise alle in Englisch verfasst worden sind, so dass unser Baltic-Manor-Publikum weitesgehend gleichermaßen daran teil haben kann. Die folgenden fünf Bücher beleuchten ganz unterschiedliche Herangehensweise an das Thema Gutshaus: mal Memoiren, mal Roman, mal wissenschaftliche Aufsätze. Viel Freude beim Schmökern!

Meine persönliche Top-5-Liste:

1. Chateau de Gudanes – Ein australisches Ehepaar erzählt von seiner Liebe zu seinem neuen Haus
Dieses Buch ist ein Manifest der Liebe zu einem französischen Chateau, wie es wohl kaum eins zuvor erfahren hat: Die Rede ist von der Waters Familie aus Western Australien, die uns in diesem Wälzer von ihrer unglaublichen Geschichte ihres Chateau de Gudanes mitnehmen, eingebettet in die Berge der Pyrenäen unmittelbar an der Grenze zu Spanien. Das einstige Anwesen der aristokratischen Familie derer de Salles, die das Haus Mitte des 17. Jahrhunderts erbauen ließ, fiel in einen Dornröschenschlaf, bis die Waters sich entschieden, dem morbiden Chateau ein bisschen TLC (Tender, Love and Care) zurückzugeben. Ein nervenaufreibendes Abenteuer, das mit einer zwei Jahre währenden Kaufoddyssee seinen Lauf nahm. Ihr detaillierter Einblick reicht von den ersten Schritten bis hin zu Meilensteinen der Freude, die zugeführt haben, dass diese französische alte Dame die Menschen zu begeistern vermag. Karina Waters, als Hausherrin, schafft es, ihre Leser geschickt durch diese emotional aufwühlenden Zeiten zu führen. Seite zu Seite steigern die Lust, sofort den nächsten Zug nach Gudanes zu nehmen und sich von diesem französischen Märchen selbst ein Bild zu verschaffen. Wer nun denkt, mmh, Moment mal, was hat das eigentlich mit den Gutshäusern des Ostseeraumes zu tun? – die Geschichte dieses Hauses ist so lebendig dokumentiert und so mitreißend, dass ich kein besseres Beispiel geben kann, als dieses der Familie Waters. Ein Märchen, das von der all umspannenden Liebe erzählt, die uns am Ende alle zusammenführt, ganz gleich ob Gutshaus oder Chateau oder „einfaches“ Siedlerhaus.

2. Alles umsonst – Eine literarische Erzählung von Walter Kempowski

Ein deutscher Autor, der obendrein auch noch in Rostock beheimatet war – und doch brauchte es einen Artikel aus dem New Yorker Magazin, um mich auf diese literarische Perle aufmerksam zu machen. Der amerikanische Journalist James Wood beginnt seinen Beitrag mit dem Satz, dass er es nie für möglich gehalten hätte, dass ein Deutscher fähig sei, mit dem nötigen Abstand über den  Untergang des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg zu schreiben. In seinem Roman „Alles umsonst“ begibt sich Kempowski auf den Schauplatz des fiktiven Georgenhof in Ostpreussen, im heutigen Polen. Dort verharrt die reiche Familie Globig in den letzten Wirren des Zweiten Weltkriegs. Ungeachtet des Chaos um sie herum, gelingt es ihnen, einigermaßen den Alltag aufrecht  zu halten, bis ein Fremder eines Abends vor ihrer Tür steht – und die Dinge sich verkomplizieren. In Kempowskis Roman geht es nicht um die Verklärung der letzten Stunden auf den Gütern. Stattdessen gelingt es ihm, sich mit diesem Werk einem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte mit gleichermaßen – Abstand und Einfühlungsvermögen – zu nähern, als hätte er das Geschehen vom Himmel beobachtet. So beschreibt er in seinen Charakteren die Hoffnung aber auch Verzweiflung darüber, dass die Welt nie wieder dieselbe sein wird und genau an dem Punkt geschieht das, was wir, das Team hinter South Baltic Manors, mit dem Blog erhoffen: Mit Emotionen unsere Leser an die Geschichten heranzuführen, die diese Orte bis heute in sich tragen. Walter Kempowski, der mit seinem Projekt „Echolot“ Tagebucheintragungen und Fotos und Geschichten von zahlreichen unbekannten Menschen einfing und auch dieser Roman trägt zum Mosaik der Erinnerungskultur bei.

3. Auf dem Gutshof – Erinnerungen an ein pre-revolutionäres Russland von Mariamna Davidoff

Es könnte als Kinderbuch missverstanden werden, doch handelt es sich bei diesem wunderschön illustrierten Buch um die Sammlung von Erinnerungen der Lady Mariamna Davidoff, einer ehemaligen russischen Gutshofbesitzerin. Sie wurde 1871 in Russland geboren und emigrierte 1919 nach Frankreich, wo sie später ihre Kindheit auf dem Land zu Papier bringen würde. Es ist ihrer Cousine Olga Davidoff Dax zu verdanken, dass sie ihre Verwandte geradezu positiv nötigte, diese pre-revolutionäre Era festzuhalten. Mariamna Davidoff, eine versierte Künstlerin, bereicherte den Band mit Sujets als filigrane Aquarelle, die sich noch aus dem Gedächtnis herbeirufen konnte. Das Buch ist ein unterhaltsames Zeitdokument aus der Zarenepoche, das sich liest wie eine Geschichte. Der Verlag Thames and Hudson brachte 2011 eine neue Auflage des Werks heraus, das auf authentisch romantische Weise von einer längst vergangenen Zeit erzählt.

Der beste Ort, um ein Buch über Gutshäuser zu lesen? Ein Gutshaus!

4. Die Entwicklung von Schlössern und Gutshäusern in der Ostseeregion – Sabine Bock, Jana Olschewski und Kilian Heck

Einen eher historisch-wissenschaftlichen Einblick in das baltische Kulturerbe vermittelt dieser Band, der die Beiträge der Gutshaustagung des Alfred Krupp Wissenschaftskollegs im Oktober 2012 zusammenfasst. Unter anderem von Kilian Heck, der als Leiter des jüngst gegründeten Herrenhauszentrums in Greifswald agiert. Das Buch wirft einen Blick in jene Regionen, die mit dem South Baltic Manor Projekt promotet werden. Essays auf Englisch und Deutsch bieten Einblicke in Themen wie unter anderen: „Die Gutshäuser und wirtschaftlicher Wachstum in Schweden im 18. und 19. Jahrhundert.“ oder „Das zweite Leben der Schlösser: Erinnerungen und Rekonstruktion der historischen Schlösser im modernen Litauen“ als auch „Historische Residenzen in der Puck/Putzig Region und Wejherowo/Neustadt Region – ihr gegenwärtiger Zustand, ihre Nutzung und Umgebung.“ Vielleicht nicht die leichteste Abendlektüre, doch wer diese Häuser in ihrer geschichtlichen Verankerung verstehen möchte, kommt nicht drumherum, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen –  um einmal mehr den Wert der Gutshäuser als kollektives Vermächtnis zu verinnerlichen.

5. Die Entstehung des Kulturerbe-Tourismus – Vom Touren und Vermarkten Englischer Landhäuser by Jocelyn Anderson

Diese Doktorarbeit wirft einen umfangreichen Blick in die Popularität der englischen Landhäuser. Autorin Dr. Jocelyn Anderson, eine Kunsthistorikerin aus Toronto, befasste sich neun Jahre lang mit der Bedeutung und Rolle der Architektur englischer Landsitze, die als eine Art „Open-Air-Museum“ die Dimensionen des Kunsthandwerks, der Kunst und Gartenfertigkeiten widerspiegeln. Das Buch gibt Aufschluss darüber, wie Landhaus-Tourismus die Entwicklung von weiterer Infrastruktur befeuert hat, über die Entstehung von Pubs und Übernachtungsmöglichkeiten bis zur Herausbildung von Straßensystemen – und damit bahnbrechend für eine völlig neue Art des Einkommens stand. „2011 generierte der Kulturerbe-Tourismus eine stolze Summe von Milliarden von Pfund, die mit zwei Prozent Anteil zum Haushaltseinkommen Englands beitrugen“, sagt Jocelyn Anderson* in ihrem Buch. Der National Trust hält mit circa 350 Häusern und 4,5 Millionen Mitgliedern sowie 62 000 freiwilligen Helfern einen beachtlichen Anteil daran, dass nationales Kulturerbe bewahrt wird. Wie die Autorin eingangs beschreibt, „hat sich das Landhaus auf wundersame Weise zum Identifikationswert für die Menschen herausgebildet und wird damit zum Symbol einer Nation.“ *²Andersons Buch belegt, dass Kulturerbe-Tourismus sowohl aus wirtschaftlicher und bildungskultureller Sicht nicht zu unterschätzen ist. Damit kann es als Anregung für all jene verstanden werden, die aus dem Beispiel Englands Inspiration für heutige Modelle ziehen möchten. Wieder einmal zeigt sich: Der Blick zurück weist uns den Weg in die Zukunft.

*Jocelyn Anderson: Touring and publizing English Country houses. Page 2 2. *² Jocelyn Anderson: Touring and publizing English Country houses. Page 2-3

Die beste Möglichkeit die Gutshäuser kennenzulernen? Besuchen Sie das Baltic Manor Festival. Etliche Gutshäuser und Schlösser rund um die Ostseeküste feiern im Juni-Juli-August auf verschiedenste Weise die alten Gemäuer. Mehr Informationen finden Sie dazu auf unser Projektwebseite unter der Rubrik: Festival

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