Ein Barockgarten war das Smartphone des 16. Jahrhunderts

Das Dänische Gut Søholt

Frederik von Lüttichau, Besitzer von Gut Søholt, über Machtkämpfe mit der Natur

Fotos and Text von Annika Kiehn, November 2020

Frederik und Christel von Lüttichau hüten den ältesten Barockgarten in Søholt, auf Dänemarks südlichster Insel Lolland-Falster. Ich wage zu behaupten, dass die Pflege eines solchen Gartens nicht unbedingt die größte Freude bringt, wie etwa vergleichsweise ein englischer Cottagegarten. Dieser Typus basiert auf einem weit komplexeren Ansatz, der mit dem typischen Gärtnern, wie wir es heutzutage verstehen, wenig gemein hat. Um diesem Geist nachzuspüren, habe ich Frederik von Lüttichau auf seiner Gutsanlage besucht, der mir auf sehr unterhaltsame Weise vermittelt hat, was es mit dem Wesen eines Barockgartens auf sich hat.
Wenn eine Amateurin wie ich an einen Barockgarten denkt, kommen Gedanken an ein üppiges Blumenmeer auf, an lüsterne Skulpturen, die dieses Fleckchen Erde heimlich bewohnen, tanzende Wasserfälle – doch Pustekuchen. Ich betrete stattdessen eine Ödnis, deren Struktur sich aus grau-braunen, geometrisch angeordneten Hecken zusammensetzt. Es ist in der Tat enttäuschend, selbst für einen Wintertag und ich frage mich für einen kurzen Moment, ob ich wirklich dort gelandet bin, wo ich hinwollte. Schon kommt Frederik von Lüttichau auf mich zu und ich erfahren, dass ich einen schlechten Tag für meinen Besuch erwischt habe. „Der Trick liegt in den Schatten“, sagt er und sogleich legt sich meine Enttäuschung. Wir gehen rüber in die neu gebaute Orangerie, wo er mir einen heißen Kaffee serviert. 2003 kauften er und seine Frau Christel das Anwesen Søholt mit dem weißen Gutshaus. Dafür zogen sie von Jütland auf die südlichste Insel Dänemarks. „Wir haben uns sofort in die Landschaft hier verliebt“, sagt Frederik von Lüttichau. Unweit gelegen vom Maribou Nationalpark, zahlreichen Seen und einer beeindruckenden Vogelwelt, die unter anderen Wildgänse, Endeten und Seeadler beheimatet. Das milde Klima kommt den Landwirten zu Gute, die hier profitabel Rote Beete, Spinat, Erbsen und Lupinen anbauen. Auch Hobby-Jäger kommen in dieser Gegend auf ihre Kosten in dem nahegelegenen Wald, der zum Anwesen dazugehört.

Dänemark´s ältester Barock-Garten

Die Hauptattraktion, sprich der Barockgarten, ließ der Deutsche Henning Ulrich von Lützow in den 1690ern als Prestigeobjekt erbauen. Dieser kam als Court Marschall nach Dänemark an den Hof. „Damals kostete es 62 000 dänische Kronen, diesen Garten zu errichten, wohingegen das Gut selbst mit dem Land und dem Wald rund 64 000 dänische Kronen gekostet hat. Daraus lässt sich ableiten, dass dem Garten nahezu dieselbe Bedeutsamkeit zugeschrieben wurde, wie dem Haus und dem Land“, sagt Frederik von Lüttichau.

Mit einer Länge von rund 340 Metern und einer Breite von rund 110 Metern, beherbergt der Garten allerlei geometrische Formen wie Zirkel, halbe Zirkel, Vierecke und geradlinige Hecken. Laut Lüttichau ist es „nahezu unmöglich, einen Barockgarten privat zu unterhalten.“ Allein das Stutzen und Trimmen der Hecken sowie ein komplexes Bewässerungssystem unter der Erde sorgen für hohe Kosten jährlich. Anders als deutsche Gutsparks, die zumeist ebenso unter Denkmalschutz stehen wie die Gutshäuser, sind nur wenige Gärten in Dänemark geschützt. Mithilfe finanzieller Unterstützung von der Foundation Realdania Fonden gelang es dem Ehepaar den Barockgarten von Søholt wiederzubeleben. Vorlage waren dabei historische Zeichnungen. „Wir haben uns sehr an das historische Vorbild gehalten, lediglich die Wege haben wir zugunsten von Pflegetechnik etwas erweitert beziehungsweise umgelenkt, damit wir die Wurzeln nicht beschädigen.“ Am 13. Juni, nach einer knapp zweijährigen Restaurierungsphase und einer Summe von rund sechs Millionen dänische Kronen (rund 81000 Euro), konnte der Garten wieder für die Öffentlichkeit geöffnet werden.

Der Barockgarten ist eine natürliche Erweiterung des Gutshauses

Um für meinen Besuch in Søholt vorbereitet zu sein, habe ich mir im Vorfeld einiges Wissen über Barockgärten angeeignet. Es heißt, die geometrischen Muster im Garten sollen den Grundriss des Hauses widerspiegeln, so gesehen ist der Barockgarten eine natürliche Erweiterung des Gutshauses. Auf den ersten Blick erschließt sich dem Besucher kaum, wie viel Mühen, Zeit und Geld dahinterstecken, ein solch kleines barockes Idyll zu erhalten. Das Konzept kann sich dem modernen Menschen unmöglich selbst erschließen, wie ich merke, als Frederick mit mir hindurchgeht und mir erklärt, was es damit auf sich hat: „Auf dem Weg zu meinem Büro muss ich immer durch den Garten gehen und ein Mal hörte ich wie ein Pärchen hineinging und der Mann entrüstet aufschrie: ‚Oh ich bin jetzt schon enttäuscht, ich will mein Geld zurück! – und irgendwie kann ich ihn ein bisschen verstehen, es ist schon etwas langweilig im Vergleich zu einem Blumengarten.“

Vor 400 Jahren war es eine große Sache, die Natur zu zähmen.

Er lächelt. Als ich ihn frage, warum sich die Menschheit heute noch so verdingt, einen Garten mit solch sprödem Charme zu kultivieren, guckt er mit einem durchdringenden, aber freundlichen Blick und ich ahne, dass gleich die entscheidende Erklärung kommt. „Ein Barockgarten ist nicht wirklich ein Stück Natur. Er wurde eher zum Vergnügen angelegt, als Zeichen dafür, dass der Mensch es geschafft hat, die Natur zu zähmen. Die Schatten bilden Lichtspiele, die die Menschen damals verzückten. Man kann es sich so vorstellen, dass ein Barockgarten das Unterhaltungspotenzial hatte, wie wir es heutzutage von Smartphones gewöhnt sind. Diese Form der Kontrolle und Kreativität war revolutionär, wenn man bedenkt, dass die Menschen bis dato der Natur vollends hörig waren und sich als Teil ihrer betrachteten.“

Nun ist mir klar, was er meint: Der Barockgarten stand für ein neu gewonnenes Selbstbewusstsein der Menschen und ich versuche mir vorzustellen, wie verzückt die Menschen damals waren, als sie das erste Mal einen solchen Garten betreten haben. „Sie wussten ganz genau, wie aufwendig es war, diese geometrischen Figuren zu schaffen.“ Während er davon erzählt, schwingt fast schon ein Hauch Bedauern in seiner Stimme mit – darüber, dass der Garten mit seiner Erscheinung längst nicht das widerspiegelt, was er an Ressourcen verbraucht und den Wert, den er aufgrund seines Alters und seines Wesens in sich birgt.

„Vor 400 Jahren war es eine große Sache, die Natur zu zähmen.“ Frederik von Lüttichau, Besitzer von Gut Søholt

Die Idee des Barockgarten stammt ursprünglich aus Italien im 16. Jahrhundert und verbreitete sich rasend schnell in Richtung Frankreich. Frederik zeigt auf die Originalpläne, um die originäre Idee des Barockgartens zu verdeutlichen: „Hier sieht man eine Ruine, das heißt, dass das Gutshaus einmal größer gewesen sein muss, als es jetzt ist – 1804 wurde es überformt in seine heutige Erscheinung. Zu der Zeit wurde auch der Barockgarten vernachlässigt, als der Englische Landschaftsgarten in Mode kam. Das, was wir heute noch sehen, ist nur ein Bruchteil dessen, was ursprünglich einmal existierte. So wie einst das Gutshaus anders aussah, trifft es auch für den Garten zu – wenn man es auch dieser Sicht betrachtet, ist es einfacher, das zu schätzen, was noch da ist.

Den Barock-Garten Søholt besuchen

Der Barockgarten Søholt öffnet täglich in der Saison von 9 bis 17 Uhr, im Osten befindet sich ein Parkplatz. Eintritt 30 dänische Kronen. Es ist möglich, vorab eine persönliche Führung zu buchen. Der Eintritt kostet 30 Kronen.

 

 

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